geil

Wörterbucheintrag (subjektiv)

Dieser Begriff hat mich, als er in der Jugendsprache auftauchte, am meisten verwirrt. Ich meine, was hat bitteschön die erste Bedeutung mit der zweiten, meist besonders in der Jugendsprache angewandten Bedeutung zu tun? Es gibt sogar Orte, die „Geil“ heißen! Die Jugendsprach-Bedeutung ist ja z.B. sowas wie:

„(…) (umgangssprachlich) [echt] spitze, einsame Spitze, famos, fetzig, klasse, mega, prima, riesig, scharf, stark, super, toll; (salopp) cool; (salopp, besonders Jugendsprache) endgeil; (emotional) heiß; (Jugendsprache) fett; (besonders österreichische Jugendsprache) urcool, urgeil“

DUDEN

Ist dann ein Ort, der „Geil“ heißt, besonders geil?

Zusätzlich gibt es auch noch eine botanische Bedeutung:

„Als Vergeilung oder Etiolement bezeichnet man in der Pflanzenphysiologie jene Merkmale, die Pflanzen aufweisen, wenn sie bei Mangel an photosynthetisch nutzbarem Licht wachsen. Sie besteht in einem deutlich beschleunigten Längenwachstum, kurzzeitig mehrere Zentimeter pro Tag, weil die Pflanze versucht, eine Lichtquelle zu erschließen. (…) Etiolierte Keimlinge verfügen meist nur über stark minderentwickeltes Festigungsgewebe, wodurch sie weich und biegsam erscheinen. Dies wird mitunter in der Landwirtschaft auch gezielt ausgenutzt; so bleiben die Stangen von an sich holzigen Pflanzen wie die des Spargels oder Bambussprossen essbar, solange sie vergeilt sind.“

Wikipedia

Wer hätte das gedacht, dass unser Täglich Spargel offenbar von Grund auf geil ist?

Aber für die armen Pflanzen ist es bestimmt nicht so „super“, „klasse“, „famos“ oder „fetzig“, kein Licht zu haben und sich im Angesichts des Hungertodes auf eine verzweifelte Suche nach Nahrung begeben zu müssen; sich zahllosen Risiken wie Schuppen, Verkümmerung, Blattverlust in den unteren Gefilden (das stell ich mir besonders unschön vor), Verfärbung in braun, blassgelb etc. aussetzen zu müssen, und das ohne Versicherung, ohne Hilfe, ohne alles! Und wenn man dann, gehetzt von dem Damoklesschwert des Todes, am Ende seiner Kräfte angelangt ist, auf seinen missgebildeten, fehlkonstruierten Körper schaut und dann sein Angesicht dem lichtlosen Himmel zuwendet, dann ist das ganz bestimmt nicht „mega“. Höchstens megabescheuert, weil man dann eben ohne Licht in der nächsten Zeit ungnädig und elend verkümmern wird, und dann liegt man da, ohne anständige Beerdigung, würdelos von der Natur und irgendwelchen Tieren zertrampelt und zersetzt.

Wenn man jetzt, nachdem man sich die letzten Tränen aus dem Augenwinkel gewischt hat, mal das Beispiel aus dem DUDEN nimmt:

„Beispiel: geile Musik“

DUDEN

Wäre das dann eine Personifikation? Ich meine, hier erhalten doch „abstrakte Begriffe, konkrete Gegenstände und Tiere die Gestalt von handelnden und sprechenden Personen“ (wenn man die Musik als abstrakten Begriff sieht). Und das „geilsein“ ist doch eine Handlung, oder nicht? Aber was hat denn Musik mit „Mangel an photosynthetisch nutzbarem Licht“ und „dem Einen“ zu tun? Und wenn man die neue, Jugendslang-Bedeutung nimmt: Was hat dann die mit den zwei Bedeutungen davor zu tun?

Gucken wir also seufzend und zähneknirschend in die Sprachgeschichte: „geil“ kommt wohl von dem germanischen und/oder dem indoeuropäischen Wort „ghoilos“. Im Althochdeutschen war es offenbar noch kulinarisch gemeint und hieß so viel wie: „aufschäumend beim Garen“, im Mittelhochdeutschen kam dann die Person als bezeichnetes Objekt dazu, aber erst mal in gemäßigter Form: „fröhlich und glücklich“, „stolz, wild, ungestüm“. Später wurde es dann zur Beleidigung; wenn man da als „geil“ bezeichnet wurde, war man unkeusch, und im 19. Jahrhundert wurde es schlussendlich zum Tabuwort erklärt. Im Hochhochdeutschen indessen hat man „geil“ dann in der Jugendsprache genutzt, weil es ein Tabuwort war, und das Tabu löste sich auf. Ende.

Und was lernen wir daraus? Was ist die Moral von der Geschicht‘? Schreibts in die Kommentare.

Quellen:

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