In seinem Theaterstück setzt sich Dürrenmatt mit der Frage nach der Verantwortung von Wissenschaft und Politik auseinander.
Für das in den 1960er-Jahren entstandene Stück gab es einen konkreten Anlass – der Kalte Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion, mit dem die beständige Angst vor einem Atomkrieg einherging. Die 10b setzte sich im Projekt mit der Frage nach Freiheit und Verantwortung kreativ auseinander. Zwei der entstandenen Texte, eine Rede von Fatima sowie eine Theaterszene von Hanna und Jana, könnte ihr hier nachlesen:
Fatima: „Appell an Politiker und Machthaber aller Welt“
2011 begann der Syrische Krieg im Nahen Osten. An dem Punkt flüchteten wir, ich und meine Familie, in den Libanon. Für mich war Syrien meine Heimat und das Paradies. Bevor der syrische Bürgerkrieg anfing, waren für mich fünf schöne Lebensjahre, bis die Unruhen anfingen. Männer wurden und werden immer ohne Urteil vom Präsidenten Assad und seinem Regime festgenommen. Davor hatten wir eine große Angst, dass mein Vater oder meine Brüder festgenommen werden und nicht wiederkommen. Die politische Lage in Syrien war sehr prekär. Schließlich war ich mit meiner Familie sowie der ganzen syrischen Bevölkerung mittendrin im Krieg. Bomben fielen und fallen nahezu pausenlos, das Leben ist gefährlich, Entbehrungen sind an der Tagesordnung. Als Kind damals mit 6 Jahren, als wir verschiedene Bomben anhand der Geräusche auseinanderhalten konnten, war ein Tag, an dem „nur“ wenige Bomben fielen, ein guter Tag.
Darum würde ich gerne den Menschen, die in Frieden leben, sagen, dass ich weiß – wenn ihr meine Geschichte hört, seid ihr schockiert und traurig. Ich habe euch mein Erlebnis aus meiner Heimat erzählt, weil es glaubwürdig ist und stellvertretend für unzählige syrische Familien steht, die dieses schlimme Schicksal teilen. Darum möchte ich erwähnen, dass seit Beginn des Krieges im Jahr 2011 bis heute, 2022, mehr als eine halbe Million Menschen gestorben sind, darunter waren mindestens die Hälfte Zivilisten, Frauen und Kinder. In meiner Familie sind mein Onkel und sechs Söhne meines anderen Onkels von Soldaten erschossen worden. In dieser Zeit, in der viele Verwandte gestorben sind, fiel es mir sehr schwer, und ich war deshalb sehr traurig. In dieser Zeit habe ich viel geweint, und es ging mir schlecht. Heute, wenn ich an sie denke, werde ich traurig. Aber ich weine nicht so, wenn derzeit einer stirbt, weil all meine Tränen schon gefallen sind.
Ich bin nicht die Einzige, die dieses schlimme Schicksal erlebt hat, sondern viele unschuldige Kinder, Frauen und Männer haben dasselbe Schicksal erlitten. Dieses Schicksal hat die ganze syrische Bevölkerung betroffen, indem viele unschuldige Menschen durch den Krieg gestorben sind beziehungsweise ihre Heimat, Verwandte, Freunde, ihre Häuser verloren oder verlassen haben. Sie flüchteten, um in Frieden zu leben, anstatt dass sie jede Sekunde überlegen, wie oder ob sie die nächste Sekunde erleben werden.
Es waren Politiker, die entschieden haben, dass Krieg sein muss. Und diese Politiker haben den Befehl vom Präsidenten bekommen, dass sie Krieg führen müssen, und zwar gegen die eigenen Bürger. Darum möchte ich an alle Politiker und Machthaber appellieren, dass sie die Auseinandersetzungen der Welt regeln, dass überall auf der Welt Frieden herrschen soll, und dass alle für den Frieden kämpfen sollen.
Theaterszene von Hanna und Jana: „Die Rebellen“
Szene 1:
Maja und Victoria, sitzen nachmittags in einem Park in der Hauptstadt von Katarklonien
Maja: Ich hab jetzt aber schon genug erzählt, was hast du denn die letzten 3 Wochen, während ich im Urlaub war, getrieben?
Victoria: Wo soll ich denn anfangen? Es ist so viel passiert… Also, es fing damit an, dass meine Eltern meinten, dass ich mich mehr einbringen soll. Ich soll mit auf Reisen, Staatsempfänge und andere bescheuerte Termine gehen. Also wirklich, da hab ich doch kein Bock drauf!
Maja: Ja, wer hat das schon?!
Victoria: Genau, das meinte ich auch, aber sie sagten dann, ich sei voll undankbar und sie würden mir doch so ein großartiges Leben ermöglichen. Sie wollen ja nur das Beste für mich.
Maja: Naja, also ich würde schon gerne mal einen Tag lang so leben wie du.
Victoria: Ja das Geld und die Privilegien sind toll, aber es ist schon ziemlich nervig, nirgendwo alleine also ohne Security hingehen zu können. Jeder Schritt, von mir, wird beobachtet. Na, auf jeden Fall hab ich gemeint, ich hätte nie um so ein Leben gebeten und will mein Leben so leben, wie ich es will. Aber natürlich haben die nichts verstanden… Morgen muss ich mit auf so eine Veranstaltung gehen, lächeln und die perfekte Tochter spielen.
Maja: Das hört sich wirklich scheiße an. Geh doch einfach nicht hin und stell dich krank.
Victoria: Das ist viel zu auffällig, meine Mutter meinte, sie streicht mir alles Geld und ich bekomme Hausarrest, bis ich bei so etwas mitmache.
Maja: Ich hab damals auch Hausarrest bekommen, als ich das Auto meines Bruders zu Schrott gefahren habe. War nicht so nice.
Victoria: Ja, ich glaub, mir bleibt nichts anderes übrig und ich muss morgen mitkommen.
In der ersten Urlaubswoche war ich also auf einer superlangweiligen Geschäftsreise im Ausland, damit ich die anderen Wochen keinen Hausarrest bekomme. Meine Eltern hatten die ganze Zeit Treffen mit Staatschefs und CEOs von großen Firmen. Bei dem ersten war ich noch mit, aber das war so langweilig, dass ich seitdem nur noch bei den Abendessen dabei war.
Maja: War wenigstens das Essen gut?
Victoria: Das war super, aber die Portionen waren so klein, dass ich mir dann immer noch eine Pizza bestellt habe, haha! In einem Gemeinschaftsraum des Hotels stand zum Glück ein Computer, an den ich konnte- sonst hätte ich die ganze Zeit Löcher in die Luft gestarrt. Da ich nicht mit zu den Meetings gegangen bin, nahmen mir meine Eltern nämlich auch mein Handy und mein Tablet weg. SO UNNÖTIG! An einem Abend war jedenfalls ein Tab noch offen, den die Vorgängerin vergessen hatte zu schließen. Es war eine bei uns anscheinend illegale Nachrichtenwebsite, auf jeden Fall hatte ich die noch nie zuvor gesehen. Und halt dich fest, da hab ich etwas übelst Krasses gefunden! In den Nachrichten wurde unsere Staatsform kritisiert und meine Eltern als Diktatoren bezeichnet. Ganz hab ich das nicht verstanden, aber anscheinend führen wir einen Krieg in Galgonia und in unseren Gefängnissen sterben jährlich tausende Menschen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass meine Eltern davon wissen oder sogar dafür verantwortlich sind. Aber es macht auch keinen Sinn, dass sich das jemand ausdenkt und so seriös aufzieht. Also habe ich weiter nach einer Organisation recherchiert, welche in dem Beitrag erwähnt wurde.
Maja: Das ist echt krass. Bist du dir sicher, dass das stimmt und nicht nur eine Verschwörungstheorie ist?
Victoria: Ich war mir am Anfang auch unsicher und hab dann angefangen, weiter zu recherchieren. Ich hab auch ziemlich viel dazu gefunden. Anscheinend werden die Menschenrechte hier in Katarklonien gar nicht eingehalten, obwohl meine Eltern dazu einen Vertrag unterschrieben haben. Die Schere zwischen arm und reich soll auch sehr groß sein, und es gäbe keine Sozialversicherungen, welche ein Sozialstaat eigentlich haben muss. Und die Organisation versucht, dagegen etwas zu unternehmen. Ich hab dann auf einer Seite zum Chatten Mitglieder von denen gefunden und mit ihnen geschrieben. Die waren ziemlich sympathisch, haben mir aber von sehr vielen krassen Sachen, die in diesem Land schiefgehen, erzählt. Sie haben mehrere Informanten hier im Land und versuchen, einen Aufstand zu organisieren.
Maja: Unglaublich! Und was ist seitdem noch passiert?
Victoria: Seit ich wieder hier bin, gehe ich regelmäßig ins Internetcafé und schreibe weiterhin mit ihnen und schleiche mich manchmal raus, dabei hab ich auch gesehen, wie schlecht es den Leuten in ärmeren Stadtteilen geht! Jetzt denk ich, dass die Nachrichten alle stimmen und wir das nicht mitbekommen!
Die Leute von der Organisation haben mich dann gefragt, ob ich ihnen auch Informationen besorgen kann. Also Sachen zu filmen und zu dokumentieren, die mir auffallen. Die wissen gar nicht wer ich bin!
Und jetzt weiß ich nicht, was ich machen soll!
Ich könnte ihnen super viele Informationen geben: Dokumente abfotografieren, Treffen filmen und sowas. Aber damit verrate und hintergehe ich meine Familie.
Maja: Stimmt, wenn du der Organisation Infos gibst, kannst du super vielen Menschen helfen, die unter dem Regime leiden. Aber du musst auch an Oscar und Rico denken, die beiden sind noch so klein. Sie hätten dann nie eine richtige Familie.
Victoria: Genau, deswegen weiß ich nicht, was ich machen soll! Und ich weiß auch nicht, was die Organisation mit diesen Infos machen würde… Klar, es kann sein, dass sie diese nur veröffentlichen und protestieren, aber es kann auch sein, dass sie am Ende ein Attentat planen und begehen. Ich kenn die kaum, also kann ich das gar nicht einschätzen. Allzu sehr sollte ich denen da vielleicht nicht vertrauen… Aber auf der anderen Seite ist es eine einmalige Chance, die sich wahrscheinlich nie wieder ergeben wird.
Maja: Vielleicht funktioniert der Plan der Organisation ja auch nicht. Die haben bestimmt noch nie etwas so Großes und Kompliziertes geplant, da kann sehr viel schief gehen…
Victoria: Wenn ich mich dazu entscheide, Informationen weiterzugeben, treffe ich mich morgen mit einem Boten der Organisation im Park.
Maja: Ui, schon morgen? Dann hast du kaum noch Zeit, in Ruhe darüber nachzudenken! Und was, wenn du dabei beobachtet wirst und dann als Landesverräterin angeklagt wirst! Das ist schon ein sehr großes Risiko.
Victoria: Das stimmt, damit bringe ich mich selbst ziemlich in Gefahr…
Aber wenn die Staatsordnung gestürzt wird, muss ich nicht mehr tun, was meine Eltern wollen und auch nicht ihre Nachfolgerin werden…
Maja: Warum wartest du denn nicht einfach, bis du Nachfolgerin bist und veranstaltest dann eine Wahl oder sowas?
Victoria: Ja, das könnte ich tun, aber bis dahin würden weiterhin super viele Menschen sterben und leiden…
Maja: Stimmt, um den Menschen zu helfen, ist es besser, es so bald wie möglich zu machen.
Victoria: Oh, man, das stresst mich voll, weil ich jetzt eine voll schwerwiegende Entscheidung treffen muss. Auf der einen Seite steht meine Familie: Klar, meine Geschwister brauchen eine gut bzw. normal funktionierende Familie, aber sie leiden auch unter meinen Eltern. Ohne sie hätten sie immer noch mich, und mit unserer Nanny verstehen wir uns ziemlich gut, die könnte ja auch auf Oscar und Rico aufpassen, das Geld dafür haben wir. Aber ich habe die Möglichkeit sehr vielen Menschen zu helfen. Nicht nur denen, die unrechtmäßig im Gefängnis sitzen, als Menschen zweiter Klasse gelten, diskriminiert oder misshandelt werden, sondern auch denen, die einfach zu arm für eine medizinische Versorgung sind. Also für die Menschen in Katarklonien könnte mit meiner Hilfe echt viel Gutes getan werden. Und ich würde es wahrscheinlich ziemlich bereuen, es nicht gemacht zu haben, vor allem, nachdem ich die ganzen armen Menschen gesehen habe.
Maja: Ich kann verstehen, dass du deshalb mehr dazu tendierst, die Informationen zu stehlen. Aber dadurch machst du dich und deine Geschwister auch angreifbar. Weil, wenn du Informationen weitergibst und dann irgendwann rauskommt, dass du dahintersteckst, musst du wahrscheinlich im Untergrund leben oder du brauchst Personenschutz. Alle Faschisten und Befürworter dieses Systems werden dich hassen.
Victoria: Ja stimmt! Und das Problem ist auch, dass ich dann wahrscheinlich auf der ganzen Welt so bekannt bin, dass ich aus der Nummer nie wieder rauskomme! Ich komm da nie wieder raus, ich kann nie ein normales Leben führen!
Maja: Naja, mit Maske und Kapuze ginge es vielleicht … Die einzige Lösung wäre dann eigentlich nur, auf eine einsame Insel zu ziehen – oder nach Nordkorea, haha.
Beide lachen
Victoria: Superlustig.
Maja: Die Frage ist, ob du im Moment ein besseres Leben führst oder ob es besser ist, dieses selbst zu wählen…