Warum Erinnern so wichtig ist…

Gastbeitrag

von Lisa K. W. (Jugendredaktion Get!t – Erfurt)

Ich persönlich erinnere mich noch genau an unsere Exkursion zur Gedenkstätte Buchenwald. Das Knirschen des Kies unter meinen Schuhen, das seltsam-unheimliche Gefühl beim Betreten des Geländes durch das Tor mit dem Spruch “Jedem das seine”, der nur von der Innenseite lesbar ist und somit direkt an die Lagerinsassen gerichtet war. Fast jede*r Schüler*in besucht einmal während der Schullaufbahn ein ehemaliges Konzentrationslager. Mit solchen Besuchen wird das, was im Geschichtsunterricht besprochen wird, greifbar. Denn all das, was nur auf dem Papier steht, scheint so weit weg, irgendwie surreal und abstrakt. Deswegen habe ich mich entschieden, mich mit dem Thema Erinnerungskultur auseinanderzusetzen.

Rikola-Gunnar Lüttgenau, Leiter der Strategischen Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora antwortet mir bei unserem Interview auf die Frage, ob sich die Erinnerungskultur in Deutschland verändern muss, folgendes:


Ein reflexives Geschichtsbewusstsein muss sich immer verändern, denn es ist wie eine Kompetenz, die permanent immer wieder neu eingeübt werden muss, weil sich die Gegenwart verändert. Sie muss flexibel sein, das heißt, es wäre fatal, wenn es eine bestimmte Geschichtserzählung gäbe, an die sich alle zu halten hätten. Es ist auch ein permanenter Prozess. Was gut tut, ist auch sich das gesellschaftlich klar zu machen, dass es eine permanente Aufgabe ist.


Er beschreibt also, wie wichtig es ist, dass man sich nicht nur als Einzelne*r, sondern auch als Gesellschaft mit Geschehenem auseinandersetzt und das eigene Wissen immer wieder hinterfragt.

In das ehemalige Konzentrationslager Buchenwald nahe Weimar wurden in der Nacht vom 09. auf den 10. November 1938, der so genannten Reichspogromnacht, 10.000 jüdische Männer verschleppt. „Buchenwald war ein zentrales Werkzeug der Nationalsozialisten, die deutschen Juden aus dem deutschen Reich hinaus zu treiben. Schon sehr bald ist dann Buchenwald zu einem neuen Werkzeug geworden, eben nicht nur, um die Juden aus dem deutschen Reich hinaus zu treiben, sondern auch, um sie umzubringen.“, so Lüttgenau.

Nicht allein deutsch-jüdische Geschichte hat sich im ehemaligen KZ zugetragen. Auch für die Geschichte europäischer Juden spielt der Ort eine bedeutende Rolle, denn in das Lager und seine 139 Außenlager wurden nicht nur deutsche Juden verschleppt, sondern Juden aus ganz Europa. Es sei eine Zeit gewesen, aus der man als Gesellschaft und als Individuum sehr viel lernen könne, so Lüttgenau.

Die Geschichte gibt uns ein Beispiel dafür, wie eine Gesellschaft nicht sein sollte, sie gibt uns eine Orientierung, einen Kompass. Man muss immer wieder kritisch diese Zeit hinterfragen, um ein kritisches Geschichtsbewusstsein aufzubauen.

Obwohl er die Entwicklung dieses Bewusstseins über die letzten Jahre als prinzipiell gut einschätzt, berichtet er auch von Fällen von Gedankenlosigkeit und einer skrupellosen Auslegung eines Ortes wie Buchenwald. Ein Beispiel sind Neonazis, die Gedenkstätten aufsuchen, um sich mit SS-Taten und/oder Tätern zu identifizieren. Auch die sehr aktuelle Bewegung der Querdenker*innen zeige, dass das kritische Geschichtsbewusstsein „ausbaufähig“ sei.
Auch die Auseinandersetzung von jungen Menschen mit dem Thema bewertet Lüttgenau als prinzipiell gut: „Wir haben außerhalb von Corona-Zeiten tausende von Besucher*innen in der Gedenkstätte. Diese jungen Menschen kommen freiwillig, weil sie sich entschieden haben, dass sie sich dieser Geschichte und diesem Ort aussetzen und mit dieser Geschichte auseinandersetzen möchten. Insofern begegnen wir einem großen Interesse und einer großen Offenheit.“

Ein Besuch in einer solchen Gedenkstätte zeigt, dass Geschichte eben nicht nur ein trockenes Fach mit totem bzw. vergangenem Inhalt ist. Während im Matheunterricht stur Vektoren und Winkelberechnungen ohne echten Realitätsbezug (An alle Mathelehrer*innen: Diesen Satz bitte überlesen) durchgenommen werden, sieht man anhand solcher Exkursionen im Geschichtsunterricht hautnah, wie weit Menschen aufgrund von Ideologie und Machthunger bereit waren zu gehen und es vielleicht auch wieder sein könnten, wenn man nicht aus dem Vergangenen lernt. Genau deswegen ist es so wichtig, sich mit dieser Zeit auseinanderzusetzen und sie nicht in eine Schublade, irgendwo ganz hinten im Kopf zu verdrängen.

Als Side Note: Erinnerungskultur, das beschreibt den Umgang des einzelnen Menschen und aller Menschen zusammen mit ihrer Vergangenheit. Ein Teil des Wortes ist „erinnern“. Jedoch können wir uns heute nicht mehr an die Zeit des Nationalsozialismus erinnern, deswegen spricht man inzwischen von einem reflexiven Geschichtsbewusstsein.

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Beitragsbild: https://pixabay.com/de/photos/stolpersteine-gedenktafeln-2524026/

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