Abhängig – und jetzt?

Interview von Marleen N.

Ein Interview mit Maria W. über ihre Arbeit in einer Einrichtung für Suchtkranke

Die meist verbreitete Einstiegsdroge ist Alkohol. Vor allem weil Alkohol in unserer Gesellschaft im Gegensatz zu anderen Drogen allgemein akzeptiert wird. Trotzdem sollte man ihn nicht unterschätzen. So konsumieren ca. 8 Mio. Menschen der Bevölkerung zwischen 18- und 64-Jährigen in Deutschland Alkohol in einer gesundheitlich riskanten Form. Der massive Konsum von Alkohol und anderen Drogen kann bei Betroffenen ein solches Ausmaß annehmen, dass sie nicht mehr fähig sind, ein eigenständiges Leben zu führen. Um wieder ins Leben zurückzufinden, gibt es verschiedene Wege. Einer davon ist, sich einem Entzug in einer Einrichtung für Suchtkranke zu unterziehen. In solch einer Einrichtung arbeitet Maria W. seit ca. 20 Jahren und berichtet in diesem Interview von ihren Erfahrungen und Erlebnissen.

Wo und als was arbeiten Sie?

Ich arbeite in St. Kastel, das liegt in der Nähe von Ingolstadt, in einer Einrichtung für Suchtkranke. Diese heißt „Prop e.V.“ Diese Organisation gibt es auch in München und an weiteren Orten. Der Name Prop kommt vom englischen Wort „proposal“ und bedeutet auf Deutsch „Vor-schlag“, da wir den Klienten einen Vorschlag machen wollen. Sie wurde in den 60er Jahren gegründet, da es um diese Zeit immer mehr Drogenabhängige gab. Dort arbeite ich als Pflege-kraft und das hauptsächlich im Nachtdienst.

Wie sind Sie zu dem Job gekommen?

Damals hat in München eine Sozialtherapie aufgemacht und ich habe erfahren, dass dort Stellen angeboten werden. Daraufhin habe ich mich dort beworben und bin als Quereinsteiger ins Team gekommen.

Sie sprachen gerade vom Team. Da stellt sich mir die Frage, welche Berufsbilder bzw. Qualifikationen in diesem Team vertreten sind?

Man kann dort als Pflegekraft, Sozialpädagoge, Arbeitstherapeut, Verwaltungsangestellter, aber auch als Koch in der Küche und als Fahrdienst arbeiten.

Welche Fähigkeiten braucht man speziell in Ihrem Job?

Die wichtigsten Fähigkeiten sind Empathie und Einfühlungsvermögen für die Menschen. Außerdem braucht man ein medizinisches Grundwissen und sollte gut mit Menschen umgehen können. Hierbei ist es auch wichtig, dass man deeskalierend vorgeht.

Welche Aufgaben haben Sie im Nachtdienst und wie läuft ein typischer Arbeitstag ab?

Nach meiner Ankunft in der Arbeitsstelle findet die Übergabe mit den Mitarbeitern der endenden Schicht statt. Dabei tauschen wir allgemeine Informationen über den Verlauf der letzten Schicht aus, wie z.B., ob jemand rückfällig war oder ob es andere Auffälligkeiten gab.

Danach kontrolliere ich die Anwesenheit der Klienten bei einem Rundgang und suche das persönliche Gespräch mit ihnen. Dabei erkundige ich mich nach ihrem Wohlbefinden, gebe Medikamente aus, habe ein offenes Ohr für sie und versuche, Probleme zu lösen, indem ich beispielsweise den zuständigen Arzt bei medizinischen Angelegenheiten kontaktiere. Außerdem mache ich Alkohol- und Urinkontrollen, um zu überprüfen, ob jemand rückfällig geworden ist oder gegen Auflagen verstoßen hat. Wenn jemand rückfällig sein sollte, muss ich diesen Klienten versorgen und in ein separates Zimmer bringen. Nach ihm schaue ich häufiger und bleibe mit ihm in Kontakt, da sein psychischer Zustand engmaschiger im Auge behalten werden muss. Außerdem messe ich öfter seine Vitalwerte, wie Blutdruck und Puls.

Daneben kümmere ich mich noch um die Leute, wenn sie am Abend Karten oder Billard spielen wollen. Wir haben auch einen Raum mit einem Beamer, in dem sie abends noch Filme anschauen können.Meine gesamten Tätigkeiten muss ich nebenher noch klientenspezifisch dokumentieren und am Ende meiner Schicht an den Frühdienst weitergeben. Damit dieser für seine Schicht informiert ist und beispielsweise bei einem Alkoholrückfall dessen Gehalt im Blut regelmäßig kontrolliert.

Dies klingt alles sehr anstrengend, warum wollen Sie den Job trotzdem weitermachen?

Der Hauptgrund ist, dass ich gerne mit Menschen arbeite und weil ich den Leuten helfen will. In diesem Job kann ich die Klienten unterstützen, wieder auf die eigenen Füße zu kommen. Außerdem interessieren mich die verschiedenen Lebensgeschichten, wie die Leute zu so einem Schicksal gekommen sind.

Für wie viele Klienten sind Sie denn verantwortlich?

Zurzeit haben wir 45 Klienten. Diese werden rund um die Uhr von 25 Mitarbeitern betreut. Diese Mitarbeiter arbeiten in verschiedenen Schichten, so gibt es die Nachtschicht, Frühschicht, Spätschicht und Tagschicht.

Wenn Sie 45 Klienten betreuen, würde mich interessieren, wie sich diese Gruppe zusammensetzt und aus welchen Lebenssituationen die Klienten zu Ihnen kommen.

Es sind hauptsächlich Menschen, die schon mehrere erfolglose Entzugstherapien hinter sich haben und bei uns eine weitere Entgiftung machen. Oder sie kommen aus der Psychiatrie und werden dann an uns weitergeleitet. Bei uns bleiben sie im Durchschnitt ein Jahr stationär. Manche bleiben allerdings auch länger, so haben wir auch Klienten die schon zehn Jahre da sind. Sie sind nicht fähig alleine mit dem Leben umzugehen. Deshalb kommen sie dann zu uns und werden dort in der Gemeinschaft versorgt.

Bei dieser Zusammensetzung der Gruppe könnte ich mir vorstellen, dass es durchaus zu brenzligen Situationen kommen kann.

Ja, das kann es durchaus werden, da wir unter anderem Klienten haben, die eine Aggressionsstörung haben. Deswegen ist auch ein gutes Einfühlungsvermögen extrem wichtig, sowie dass man deeskalieren mit Ihnen umgeht. Besonders gefährlich ist es, wenn sie rückfällig sind oder auch wenn sie irgendwelche Drogen genommen haben, die man überhaupt nicht einordnen kann. Im Notfall muss man die Polizei dazu rufen.

In welchen Situationen mussten Sie die Polizei hinzu rufen?

Es hat sich mal ein Klient erhängt, in diesem Fall musste ein Kollege die Polizei hinzurufen, da es auch Mord gewesen sein könnte. Dieses Ereignis war aber zum Glück nicht in meiner Schicht. Der Mann war Dolmetscher und hatte viel Geld geerbt. Mit dem Geld hatte er sich dann auf irgendeiner Insel ein schönes Leben gemacht. Dann ist er jedoch alkoholkrank geworden und immer weiter abgestürzt. Daraufhin kam er zu uns und kam mit der großen Umstellung seines Lebens nicht klar. Man hat dann einiges versucht, so kam er auch einige Male auf Krisenintervention und auch in die Psychiatrie. Aber eines Tages hat er sich einen Strick gekauft und nachts im Treppenhaus erhängt. So etwas kommt zu Glück fast nie vor.

Ein anderer Fall, der glücklicherweise nicht so schrecklich, sondern eher absurd ist. Einmal hat ein Klient bei mir angerufen. Dieser war abgängig und im Alkoholrückfall. Er erzählte dann, er stünde bewaffnet vor einer Spielhalle und plane nun einen Überfall. Dann habe ich ihm gesagt, dass ich das jetzt ernst nehmen werde. In der Vergangenheit hatte er bereits manchmal mit ähnlichen Dingen „gedroht“, welche sich dann als gelogen entpuppt hatten. Er antwortete daraufhin, es sei auch ernst. Deswegen habe ich die Polizei angerufen. In diesem Telefonat habe ich mitgeteilt, dass er, wie er sagte, sich in der Oberpfalz aufhält. Die Polizei ist nach unserem Gespräch los, um ihn zu suchen. Gott sei Dank haben sie ihn auch sehr schnell gefunden. Die Polizei kam dann auch zu uns ins Haus, um sein Zimmer zu durchsuchen.

Im Endeffekt hat er geblufft und hatte auch keinerlei Waffen bei sich. Es war wieder “nur“ eine Androhung!

Damit es nicht zu solchen Situationen kommt, ist das Zusammenleben der Klienten sicherlich gut strukturiert. Mich würde interessieren, wie für einen Klienten der Alltag gestaltet ist und welche speziellen Angebote für die Klienten realisiert werden.

Wir haben verschiedene Wohngruppen, so kommt jemand, der schon sicherer ist, in eine Außenwohngruppe. Das bedeutet, dass sie nur tagsüber bei uns sind und nachts in dieser Außenwohngruppe (AWG). Dort gibt es keinen Nachtdienst. Sie müssen sich am Wochenende und am Abend selbst versorgen. Ansonsten haben wir noch therapeutische Wohngruppen, in diesen gehen die Klienten tagsüber arbeiten und sind abends in der Gemeinschaft.

Die Klienten stehen unter der Woche früh auf und bekommen als erstes ihre verschriebenen Medikamente. Danach ist das Frühstück. Manche werden dann vom Fahrdienst zu Ärzten gefahren, um ihre Arzttermine wahrnehmen zu können. Die anderen können entweder in der Küche mit kochen oder an der Arbeitstherapie teilnehmen. Ansonsten haben wir auch Tiere, wie Ponys, Fische und Hasen, die in der Tier-Arbeitstherapie, versorgt werden müssen. Allerdings kann so auch jeden Tag ein Ponyspaziergang angeboten werden. Des Weiteren haben wir die Hausinstandsetzung. Bei dieser reparieren die Klienten mit Hilfe der Arbeitstherapeuten, wenn etwas im Haus kaputt ist. Dann gibt es ein gemeinsames Mittagessen und am Nachmittag sind dann Gruppen, in denen die Sozialtherapeuten Themen durchsprechen, die den Klienten wichtig sind. Am Wochenende gibt es auch verschiedene Freizeitangebote, wie z.B. einen Ausflug, eine Wanderung, einen Museumsbesuch oder auch, dass man ins Schwimmbad geht. Sonst gibt es auch Wochenfreizeiten, bei denen wir auch weiter wegfahren, um dort zu wandern oder auch z.B. Kanu zu fahren. Außerdem gibt es für jeden Klienten einen Sozialpädagogen, der mit ihm Einzelgespräche führt, in denen sie ihre Probleme ansprechen können.

Zum Abschluss interessiert mich noch, wie viel man in so einem Job verdient.

Dadurch dass das bei uns ein Verein ist, verdient man nicht so viel. Verschiedene Leute, die im Fahrdienst oder auch neu im Nachtdienst arbeiten, verdienen Mindestlohn. Heißt 12,00 € die Stunde, wobei die Sozialpädagogen mit so ca. 16,00 € pro Stunde etwas besser verdienen.

Ich danke Ihnen vielmals für dieses informative Interview.


Die ganze Artikelausgabe im Zeitungsprojekt von Marleen, Anna und Annegret findet ihr unter dieser PDF-Datei:

Bild ist von Pexels

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert