Meine Enkelin, Melissa Hädicke, bat mich kürzlich, mal etwas über mein Leben zu schreiben, besonders über die Zeit, die ich in der DDR verbrachte, einem Staat, den es seit 1990 nicht mehr gibt.
Diesen Wunsch möchte ich Melissa nun gerne erfüllen.
Mein Name ist Cornelia Weißleder. Ich bin mittlerweile 69 Jahre alt und lebe seit nunmehr 7 Jahren im schönen Lüneburg, nahe bei Hamburg.
Bis dahin war mein Lebensmittelpunkt in Thüringen. Die unterschiedlichsten Orte wurden mir zur Heimat. Angefangen hat mein Leben im beschaulichen Mielesdorf bei Schleiz. Aber die längste Zeit meiner Kindheit und Jugend verbrachte ich in Gera. Das war damals die zweitgrößte Stadt in Thüringen. Mein Vater war dort evangelischer Pfarrer. Das bedeutete so manche Einschränkung in meinem Leben, denn Christen waren in der sozialistischen DDR nicht so gern gesehen. Sie passten nicht wirklich ins System.
Nach dem Abitur (1972) studierte ich 5 Jahre lang Theologie in Jena. Danach (1977) suchte ich mir mit meinem damaligen Ehemann, Melissas Opa, eine erste Pfarrstelle im Sperrgebiet bzw. Grenzgebiet der DDR. 11 Jahre verbrachten wir in Probstzella, ganz nahe an der Grenze zu Bayern. Das bedeutete, wir lebten abgeschottet hinterm Schlagbaum, es gab verstärkte Kontrollen durch die Polizei, nur Verwandte 1. Grades konnten mit einem Passierschein zu Besuch kommen usw.. Das Sperrgebiet war wie eine Welt für sich. Viele Menschen waren eingeschüchtert. Für sie versuchte ich als Pastorin da zu sein. In Probstzella wuchsen auch unsere 4 Kinder heran, das älteste ist Melissas Papa.
1988 zogen wir dann nach Ronneburg, nahe bei Gera. Da gab es zwar kein Sperrgebiet, aber dafür den gesundheitsschädlichen und umweltzerstörenden Uranbergbau. Das Uran braucht man zum Bau von Atomwaffen und zum Betreiben von Atomkraftwerken. Die Kleinstadt Ronneburg und die ganze Region waren vom Bergbau geprägt. Kurz nach dem Antritt unserer Pfarrstellen gründeten wir einen christlichen Umweltkreis. Das war für den DDR-Staat ein Grund uns unter ständige Stasi-Beobachtung zu stellen, übrigens war das auch schon in Probstzella so. Der Grund war unser Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. In Ronneburg verschärfte sich für uns die Lage, auch Melissas Papa hatte in der Schule darunter zu leiden.
Am 9.Oktober 1989 war ich in Leipzig zur großen Friedens-Demo mit dabei. Nach dem Friedensgebet demonstrierten 70.000 Menschen auf den Straßen, obwohl solche Demos verboten waren. Einen Monat später fiel die Mauer in Berlin und die Grenzen öffneten sich. Das war ein unbeschreiblicher Moment. Ich weiß gar nicht, was mit unserer Familie passiert wäre ohne das Ende der DDR. Übrigens wurde in den kommenden Jahren der Uranbergbau eingestellt. Das betroffene Gebiet wird bis heute aufwändig saniert.
1999 wechselte ich in die schöne Theaterstadt Meiningen in Südthüringen, und erlebte dort noch gute 15 Jahre im Pfarramt mit allen Aufgaben, die da zu bewältigen sind.
2015 ging ich in den Ruhestand, 2016 zog ich nach Lüneburg, dort begann für mich ein neuer Lebensabschnitt, nun in Niedersachsen.
Ganz besonders freue ich mich, wenn ich Besuch bekomme aus der alten Heimat, wenn z.B. Melissa für ein paar Tage vorbeikommt, oder wenn ich mal nach Jena fahre.
Ich merke des öfteren, dass mich meine 35-jährige DDR-Erfahrung sehr geprägt hat. Dieser verflossene Staat ist ein ganz wichtiger Teil meines Lebens und unserer gesamtdeutschen Geschichte. Unser Leben war damals anders als heute, sicher weniger frei als heute, aber dennoch haben wir gelebt. Meine Aufgabe sehe ich damals wie heute darin, den Finger in die Wunden der jeweiligen Zeit zu legen, und sich nicht desinteressiert oder ängstlich wegzuducken. Noch ein Spruch zum Schluss: „Viele kleine Leute, an vielen kleinen Orten, die viele kleine Schritte tun, können das Gesicht der Welt verändern!“
Cornelia Weißleder am 08.05.2023
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